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Sie wollen es einfach nur nicht kriegen

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Die Pille nach dem Sex - Jetzt Schutz vor HIV?
(GayBrandenburg - Redaktion + 22. Dezember 2009) Die "Pille danach“ ist in Österreichs Apotheken von jetzt an rezeptfrei zu haben. Freigegeben wurde das Präparat mit dem Namen "Vikela". In Deutschland ist das Präparat verschreibungspflichtig.
Ganz ohne Beratung soll die Pille jedoch auch im Nachbarland nicht abgegeben werden: Die Apotheker sollen ein Informationsschreiben des Gesundheitsministeriums erhalten. Darin werden sie aufgefordert, den Patient_innen zu erklären, dass es sich bei dem Medikament nicht um eine reguläre Verhütungsmethode handelt, sondern um ein Kontrazeptivum für den Notfall. Außerdem sollen sie eine Kontrolle beim Frauenarzt "nachdrücklich" empfehlen. Österreichs Gesundheitsminister Alois Stöger will, dass Frauen in Notsituationen das Medikament ohne zeitliche Verzögerung erhalten". 
Carsten Bock, Vorstand von Katte e.V. sieht dagegen die Freigabe der "PEP“, also der Postexpositionsprophylaxe kritisch - und das nicht unbedingt aus ethischen Gründen. Mit ihm sprach die Gaybrandenburg - Redaktion:
In Österreich gibt es die "Pille danach" nun ohne Rezept. Wie stehst Du zu einer Freigabe auch der PEP in Deutschland?
Die Diskussion darum kennen wir schon lange. Dabei gibt es aber drei Probleme. Erstens: Nach unseren Erfahrungen ist die Verordnung der "PEP“ nur in Rund einem Viertel der Fälle auch tatsächlich nötig. Zweitens: Die "PEP" soll ja nur eine sogenannte Notfallmaßnahme sein - zum Beispiel, wenn man(n)  sonst mit Kondom verhütet und es einen Kondomversager gegeben hat. Drittens: Obwohl sie mittlerweile relativ gut verträglich ist, gibt es auch hier noch erhebliche Nebenwirkungen. Darüber sollte man reden.
Warum ist die Verschreibung nur in etwa einem Viertel der Fälle nötig?
Junge Schwule haben oft zu wenig Ahnung von den Übertragungswegen von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten und der fraglichen Anwendungszeit der PEP von max. 72 Stunden. Die wenigsten wissen, dass HIV beim Sex zumeist nur übertragen wird, bei passivem ungeschütztem Analverkehr, wenn der andere auch im Anus gekommen ist und Sperma in den Enddarm gekommen ist, oder bei aktivem ungeschützten AV, wenn er auch wirklich mit dem Penis in den Anus eingedrungen ist, selbst wenn man es immer wieder erklärt. Ich hatte schon junge Männer als Klienten, die noch sieben Tage nach dem „Sexunfall“ kommen und nach der "Pille danach" fragen.
Oder es kommen Partner von HIV Positiven, der dank langjähriger Therapie unter der Nachweisgrenze ist und nur mal eine Tablette vergessen hat. In solchen Fällen wirkt die HIV-Therapie aber zumeist noch nach. Da braucht der Partner keine PEP.
Wird die "PEP" denn hauptsächlich an junge Männer abgegeben?
Zum ersten muss man feststellen, dass die PEP in der Mehrzahl aller Fälle an medizinisches Fachpersonal nach Nadelstichverletzungen abgegeben wird. Allerdings herrscht da oft auch im medizinischen Bereich Unkenntnis vor. Auch da wird die PEP oft unnötig verwendet, z.B. wenn die Nadel schon längere Zeit irgendwo gelegen hat, denn die HI Viren sterben schon nach wenigen Sekunden an der Luft ab oder auch wenn genug Blut für einen Schnelltest da ist, und man den Patienten noch befragen kann.

Die Antigentests sind ja heute schon nach 2 Wochen anwendbar, und wenn der Patient keine weitere Risikoexposition in den letzten 2 Wochen betrieben hat, gibt’s auch keinen Grund für eine PEP für das medizinische Personal.

Zum anderen, zu uns kommen sehr selten Männer, die älter sind als 30 und nach der PEP fragen. Die Älteren kennen sich oft besser aus mit den Übertragungswegen und sehen die Möglichkeiten und Gefahren einer HIV - Infektion realistischer. Viele, die mit dem neuen Bild von AIDS grossgeworden sind, sehen das aber auch nur noch als chronische Krankheit an und meinen, dass das es für sie auch keine große Katastrophe wäre, wenn sie sich doch mit HIV infizieren. Da wäre die Frage der Prep, also der vorbeugenden Gabe von HIV Mitteln in den nächsten Jahren noch zu diskutieren.

Mit 17, 20 Jahren, oder mitten im Studium ist eine HIV Infektion heute aber ein absolutes No-go, gerade im Hinblick auf die künftige Berufswahl bzw. den Arbeitgeber. So sehen das viele junge Männer. Man muss diese jungen Schwulen dann aber hinsichtlich einer dauerhaften Safer - Sex - Methode beraten und ihnen sagen, dass die "PEP" nur im Notfall eingesetzt werden soll. Ich bin überzeugt, dass der Umsatz der "PEP" nach einer Freigabe ansteigen würde - und da ist der Anteil, der durch
die Beratung von Ärzten und AIDS-Hilfen zuvor vermieden werden konnte, sicherlich recht hoch.

Das Argument für die Freigabe wäre der Zeitfaktor - weil die PEP immer schlechter wirkt, je später sie genommen wird.
Das stimmt. Aber in Deutschland ist die ärztliche Versorgung mit der PEP so gut, dass man eigentlich immer schnell bei einem Arzt sein sollte. Man muss ja nicht zum HIV - Spezialisten. Man kann in Brandenburg in fast jede Notaufnahme eines Krankenhauses gehen. Ich habe manchmal am Wochenende Abends die Online-Beratung bei gayromeo, wo es fast in jedem 2. Fall um ie PEP geht. Da ist man nicht erfreut, sage ich ganz ehrlich. Aber das ist dann eben so.
In Österreich sollen die Apotheker die Frauen vor der Abgabe der Pille beraten und sie darauf hinweisen, dass es sich nur um eine Notfallverhütung handelt – könnte so eine Beratung in der Apotheke auch bei der PEP die Beratung beim Arzt ersetzen?
Niemals. Wenn der Apotheker die Kunden darauf hinweist, auch noch zur Kontrolle zum Arzt zu gehen, sagen hundertprozentig alle Männer ja.
Aber es machen dann sicher die wenigsten. Die Jungs sind dann alleingelassen. Mit einer ärztlichen Beratung hat man wenigstens mal Kontakt aufgenommen - es gibt ja auch die Situation, dass die "PEP" versagt. Deshalb sollte sofort erstmal ein HIV - Test gemacht werden, um zu sehen, ob der junge Schwule sich evtl. sogar schon früher mit HIV infiziert hat. Wenn nicht, sollte nach 2 Wochen ein Anti-Gentest gemacht werden und nach 12 Wochen noch ein Anti-Körpertest zur Bestätigung. Das kann eine Abgabe in der Apotheke alles nicht leisten.
Wie wirkt die "PEP"?
Sie ist eine hochaktive Anti-Retrovirale Therapie (HAART), also eine meist Dreier - Kombination von Mitteln, mit denen auch HIV - Positive behandelt werden. Das führt kurzgesagt dazu, dass HI - Viren ihre Erbinformationen nicht in körpereigene Zellen übertragen können, so dass sich keine neuen Viren im Körper bilden können.
Was sind die Kosten der PEP und wer trägt sie?
Die Kosten der PEP liegen bei ca. 750 - 1.500 EUR. Diese übernehmen in der Regel die Krankenkassen. Uns sind nur ganz wenige Fälle bekannt, bei denen es Probleme gegeben hat. Die Medikamentendepots in den Krankenhäusern werden aus dem Landeshaushalt finanziert. Die PEP beim Apotheker mit rund 50 EUR pro Pille wäre damit auch nur für wenige wirklich bezahlbar.
Ist die PEP körperlich sehr belastend?
Die neue Generation der HIV - Medikamente im Allgemeinen ist von der Verträglichkeit und den akuten Nebenwirkungen her relativ harmlos. Das war früher anders. Da waren diese Präparate Kombinationen aus vielen verschiedenen Pillen die zu unterschiedlichen Tageszeiten genommen werden mussten. Jetzt hat man manchmal nur noch eine, die man Abends vor dem Schlafengehen nimmt. Trotzdem sind diese immer noch sehr nebenwirkungsreich, mit Übelkeit, Benommenheitsgefühl, Durchfall, Tagesmüdigkeit u.v.a.m. Nebenwirkungstechnisch werden diese Präparate subjektiv aber besser
vertragen als früher, nur es bringt den Körper schon ordentlich durcheinander. Das ist sozusagen die Kehrseite.
Wie oft verträgt der Körper so eine PEP Behandlung?
Das kann man so genau nicht sagen, letztendlich liegt die Lebenserwartung von HIV -  Positiven, die diese Therapie für den Rest ihres Lebens einnehmen müssen 10 Jahre unter der Normalbevölkerung. Aber die Therapie belastet besonders die Leber und der Hormonhaushalt jubelt da auch nicht gerade. Deswegen sagen wir ja, die PEP soll vorerst wirklich ein Notfall-Instrument bleiben.
Wird in den Gesprächen bei Ihnen auch auf die persönliche Verantwortung hingewiesen - dass mit der PEP auch die Gesellschaft und die Kassen stark belastet werden?
Besonders die jungen Schwulen wollen das oft überhaupt nicht wissen. Sie wollen nur eins: Nicht HIV Bekommen. Da spreche ich dann auch nicht darüber, sage ich ganz ehrlich. Schliesslich ist die Lust und die Sexualität ja auch etwas schönes und das Leben bereicherndes. Wir versuchen lediglich mit jedem Klienten ein Risikomanagement zu besprechen, die ihm künftig solche Risikosituationen erspart.

Carsten Bock ist ehrenamtlicher Berater zu HIV/Aids in den Vereinen AIDS - Hilfe Potsdam und Katte e.V.
Termine für den HIV - Schnelltest für schwule Männer findet Ihr auf LOVE SEX SAFE.
Beratung per e - mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und per Telefon: 0700 000 19411