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House of Boys

 Manuel Schubert über HOUSE Of BOYS

Jake_BirdEin Junge rennt durch ein sonnendurchflutetes Maisfeld, die Krankamera verfolgt ihn dabei von oben – Schnitt. Wir sehen einem auffallend schönen jungen Blondschopf dabei zu, wie er mit einem anderen Kerl rum macht, was dann später in einen handfesten Quickie mündet. Sex, als ob es kein Morgen geben würde. HOUSE OF BOYS, das Erstlingswerk des Regisseurs Jean-Claude Schlim strahlt in den ersten Minuten eine vielversprechende Vitalität aus. Hier macht einer Film, nicht ungekonnt extravagant, dafür handwerklich solide. Kino das einfach nur ok zu sein scheint, das seine Geschichte erzählen möchte. Dies klingt unbedeutender als es ist. Denn in Zeiten filmischer Inflation ist es schon bemerkenswert, wenn ein Kinofilm einfach nur dadurch auffällt, dass er solide, aber überzeugend inszeniert wurde. Allerdings reden wir hier auch nur über die ersten Minuten.

Der Blondschopf heißt Frank, er ist knapp 18 Jahre alt und lebt im Haus seiner Eltern - in einer wohlhabenden Gegend Luxemburgs. Kontrastreich zeigt uns Jean-Claude Schlimm Franks Zuhause: Wohlsituierte Wohnraum-Langeweile trifft auf den homosexuellen Frontalangriff im Jugendzimmer. Unmissverständlich erklären uns diese Settings, dass Frank hier nicht einen Moment länger bleiben kann. Als ihn seine Mutter auch noch beinahe beim Wichsen erwischt wissen wir, dass der Aufbruch in die weite Welt kurz bevor steht. Ortswechsel: Amsterdam

Frank kommt in Amsterdam an. Wird, nach einigen kurzen narrativen Scharmützeln, von seiner besten Jugendfreundin im Stich gelassen und landet schließlich obdachlos, aber offenbar tanzwillig vor dem Schaufenster eines schwulen Tanzpuffs: „House of Boys“. Er klingelt. Es öffnet ihm Jake und der lässt den knapp bekleideten (vom Film-typischen Sinnflut-artigen Regen) durchnässten Jungen hinein. Über Franks Aufnahme muss die Herrin des Hauses entscheiden - „Madame“ ihr Name. „Madame“ ist ein distinguierter Mann in seinen späten 50ern, der Kimono statt Jackett trägt. Udo Kier spielt ihn und liefert hier erneut eine Studie in grimmig-gelangweilt Schauen, sowie viel Projektionsfläche bieten. Er ist aber nicht das Schlechteste, was HOUSE OF BOYS passieren konnte.

Der „Rest“ des Ensembles wird uns jetzt in schneller Folge vorgestellt, denn natürlich wird Frank als leibhaftige Masturbationsvorlage sofort angeheuert. Die anderen Figuren dieser Geschichte fallen durch ihre Überraschungsarmut auf. Weitere passende Begriffe wären auch Einfallslosigkeit oder Publikumsmissachtung: Jake, der Amerikaner und bestes Pferd im Stall, der aber „Hetero“ ist und eine Freundin hat. Um mit ihr eine bessere Zukunft aufbauen zu können, arbeitet er als Tänzer. Dann verzeichnen wir noch einen vor Sexappeal strotzenden Punk. Weiterhin gibt es die scheinbar obligatorische, verkrachte Existenz und die androgyne Tunte Angelo, die auf eine Geschlechtsumwandlung spart. Eine „Fag-Hag“, also eine Schwulenmutti fehlt ebenfalls nicht. In diesem Fall ist es die warmherzige Endvierzigerin und Bardame Emma. Ein Figuren-Ensemble, das weder authentisch noch sonderlich originell ist.

Frank_und_JakeVielmehr wirken diese Figuren wie der intellektuelle Offenbarungseid des Regisseurs und Drehbuchautor Jean-Claude Schlimm; entlarvend in seinem Weltbild und tendenziell homophob. Das ist kein queeres oder nicht-heterosexuelles Kino. Es ist ein Panoptikum der Klischees über schwules Leben: Jake, der heterosexuelle Amerikaner, wurde als Junge von seinem Vater sexuell Missbraucht. Das erfahren wir allmählich aus Rückblenden, die Schlim immer wieder einstreut. Jake ist der rennende Junge aus der Eröffnungssequenz, der heute als Schrank-Homo in einem Fick-Varieté die Edelkundschaft umsorgt. HOUSE OF BOYS ist heterosexuelles Kino - für ein Mainstreampublikum, dessen vermeintliche Weltbilder über „die Schwulen“ offenbar nicht angetastet werden sollen. Dass sich ausgerechnet Udo Kier und Stephen Fry für diese Mischung aus Dramödie und Stück aus der Mottenkiste hergegeben haben, macht sprachlos.

Zu allem Überfluss meint es der Regisseur dann auch noch gut: Der Film ist im Jahr 1984 angesiedelt, einer Zeit in der HIV auch in Europa allmählich durchschlägt. Im Duktus von HOUSE OF BOYS gesprochen, sind wir bereits über den Abgrund hinaus geschlittert und befinden uns im freien Fall – merken es aber nur sehr langsam: Jake, mit dem Frank nach einigem hin und her eine Liebesbeziehung eingeht, erkrankt an AIDS und darf wortwörtlich dahinsiechen bzw. krepieren.

Ein völlig deplatzierter Stephen Fry legt derweil als Arzt und durch seine Machtlosigkeit verbittert, die Stirn in tiefe Sorgenfalten. Jean-Claude Schlimm setzt hier ganz auf die völlige Exposition von Jakes Siechtum. Das wiederum seltsam artifiziell inszeniert wird. Er wolle „den jüngeren Generationen den Horror hinter den Beschreibungen zeigen und auf diese Weise hoffentlich Bewusstsein und öffentliche Aufmerksamkeit für HIV/AIDS wecken“, schreibt Jean-Claude Schlim in seinem Directors-Statement zu HOUSE OF BOYS. Das war schon vor 20 Jahren keine wirklich gute Idee und ist heute eine grobe Missachtung der Realität.
Jake_und_DrMarshDass AIDS heute nicht mehr tötet und HIV-positive Menschen eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie Nicht-Infizierte haben, wird ignoriert. Das Menschen bei genauer Beachtung und Kontrolle ihrer Therapie, HIV mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr übertragen können, scheint Schlim egal zu sein. Das HIV-Positive aber immer noch die soziale Hölle durchmachen sofern sie sich outen - Schlims Film schärt sich nicht drum.

Auf die Tränendrüse drückend, setzt er alles auf die Angst-Karte: AIDS tötet dich – Punkt! Das ist der Kern von Schlims Botschaft! Und das ist genauso falsch, wie es fahrlässig ist. Schlims manipulatives HOUSE OF BOYS geriert sich hier als Manifest der Gutmenschen, öffnet aber nur der Serophobie Tür und Tor. Jene Ablehnung und Diskriminierung, die heute HIV-Positiven das Leben zur Hölle macht und der Präventionsarbeit zunehmend den Boden unter den Füßen entzieht. HOUSE OF BOYS spielt im Jahr 1984 und genau dort ist scheinbar auch sein Regisseur intellektuell stehen geblieben. Jean-Claude Schliem hat es vielleicht gut gemeint. Aber das hat es nach 30 Jahren HIV/AIDS nun wirklich nicht auch noch gebraucht.

„Ich glaube, es ist nicht nur wichtig, sondern auch notwendig, einen Film über das Thema AIDS zu drehen – jetzt!“, schreibt Schlim im Directors-Statement weiter. Angesichts von HOUSE OF BOYS bleibt nur zu sagen: Bitte nicht! Aufhören!


Luxemburg/Deutschland 2010 - Regie: Jean-Claude Schlim - Buch: Jean-Claude Schlim, Christian Thiry, Bob Graham, Darsteller: Layke Anderson, Benn Northover, Udo Kier, Eleanor David ,

Steven Webb, Stephen Fry

 

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